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Irren ist menschlich

Ein Plädoyer für mehr Fehler...
Fr 28 Aug 2015
von Jennifer Wolff

„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Was bei Sokrates als bahnbrechend verstanden wurde, ist auch heute noch aktuell, führt jedoch eher zu Unsicherheiten.

Im Alltag mit Hund ist man ständig von diesen umgeben. Auf dem Gassi begegnen uns Menschen, die scheinbar nichts Besseres zu tun haben, als uns darüber aufzuklären, was wir alles falsch machen. In den sozialen Netzwerken werden Videos von Hunden gezeigt, die uns vermeintlich das Gefühl vermitteln, wir hätten es einfach nicht drauf, unseren Hunden Dinge beizubringen. Schaltet man den Fernseher an, so wird man konfrontiert mit unterschiedlichsten Erziehungsstrategien und geht man in den Buchladen oder gar auf amazon und schaut sich um, was es auf dem Buchmarkt zu kaufen gibt, ist man sowieso völlig verloren im Sumpf.
Fakt ist, kaum etwas ist so umstritten, wie unser Umgang mit den Hunden. Wer geht zuerst zur Tür raus? Wer isst zuerst? Darf der Hund nun bellen, wenn es an der Tür klingelt oder muss er in seinem Körbchen liegen und am Besten gar nichts mehr von der Umwelt wahrnehmen? Dürfen die Hunde Laub und Vögeln hinterherjagen und müssen aber lernen, dass Kaninchen & Fuchs im Alltag besser in Ruhe gelassen werden? Ganz simple Fragen, doch man erhält von zwei Menschen drei Meinungen zu diesen Themen. Erziehungsstrategien gibt es wie Sand am Meer, die wissenschaftliche Verhaltensforschung rund um den Hund ist mehr im Kommen denn je und doch hat all dies nicht zur Folge, dass Hundebesitzer und vor allem Ersthundebesitzer sicherer im Umgang mit Hunden werden, sondern eher im Gegenteil. Dies führt häufig dann dazu, dass ein Misch-Masch aus vielen verschiedenen Erziehungskonzepten praktiziert wird und der Hund nur noch Fragezeichen in den Augen hat: „Machst du heute den Rütter oder den Milan?“ möchten sie dann wohl fragen. Die Stapel an Hundebüchern nehmen zu, man bekommt alle Seiten angeboten und muss dann selbst sein Ding daraus machen. In der Hundeschule bekommt man wieder etwas anderes erzählt, versucht es dort umzusetzen und wird möglicherweise sogar gerügt, was man denn da für einen Blödsinn fabriziere.

Jaja, es ist nicht einfach, in der Hundewelt zu bestehen.

Richtig brenzlig wird es dann, wenn man sich dem Thema Gesundheit zuwendet. BARF und Trockenfutter sind sich gar nicht grün, Tierärzte sind alle gekauft von der Pharmaindustrie und unseren Haustieren werden ungefragt Medikamente verabreicht ohne Packungsbeilage und Apotheker. Ich übertreibe? Bei weitem noch nicht! Nicht selten werden alten Tieren „Vitaminspritzen“ verabreicht, die sich bei Nachfrage als Cortison-Präparate herausstellen, Junghunden wird bei einer leichten (leider sehr normalen) Blasenentzündung Antibiotika gegeben und der Magen-Darm-Infekt eine Woche später mit Aufbaupräparaten für das Bäuchlein entgegen gewirkt. Impfungen werden verteufelt und sind doch gleichzeitig ein Zugewinn der Forschung – viele Infektionskrankheiten konnten dank ihnen eingedämmt werden. Aber ist es wirklich falsch, wenn ich meinen Hund jährlich impfe?

Ich wiederhole mich gerne: frage zwei Menschen und du bekommst drei Meinungen.

Umgeben von tausend Unsicherheiten, frage ich mich manchmal, ob es wirklich tierschutzrechtlich bedenklich ist, wenn mein Hund zehn Minuten im kalten Auto beim Bäcker warten muss oder ob ich ihn wirklich verhätschel, weil ich ihm einen Mantel anziehe bei -15 Grad und steifer Brise.
Ständig muss man sich rechtfertigen, warum man einen Knackfrosch in der Hand hält und nicht einfach den Hunden mal zeigt wo es langgeht. Und auch wenn man den Hund dann mal zusammenscheißt, weil er wirklich Mist gebaut hat, findet sich sicher jemand, der pikiert die Lippen schürzt, eine Augenbraue hochzieht und einem „den Blick“ zuwirft, der töten möchte.
Letztlich glaube ich ja, dass es niemanden gibt, der von sich behaupten kann, dass er alles richtig macht. Auch wenn manche den Eindruck erwecken, als sei das so. Jeder kocht mit Wasser, jeder hat auch mal einen schlechten Tag und niemand kam klug auf die Welt. Es gibt nicht den golden Pfad ins Paradies, wo Hunde immer locker an der Leine laufen, niemals einen anderen Hund anknurren, stets aufs Wort parieren und allzeit bereit sind. Perfektionismus ist etwas für Idealisten, aber in der Hundeerziehung fehl am Platz. Wenn man sich wohl fühlt und mit den Baustellen, die man so in der Beziehung hat, leben kann (ja, ich rede immer noch von den Hunden), steht man beschwingter auf, hat nicht mehr diesen immensen Druck und man kann entspannter durch den Alltag gehen.
Mit Russells ist einem doch eh nix mehr peinlich. Steckt die Tussi bis zum Anschlag im Mäuseloch und der Bauer tockelt in seinem Traktor vorbei, winke ich, lächle ihm zu und er grüßt zurück. Pest der Bubemann wie ein Geistesgestörter über die weite Wiese, weil er sich einbildet, dass er die 100 Meter entfernte Krähe heute sicher erwischen wird, so mach ich mir nicht mehr ins Hemd, sondern notiere: „Milow muss mehr rennen.“ Da wird dann beim nächsten Mal das Fahrrad geschnappt und der Herr des Hauses grinst wieder. Habe ich Frollein Beere drei Mal erfolgreich abgerufen und sie läuft danach direkt im gestreckten Galopp genauso weit weg, atme ich einmal tief durch und bin mir bewusst, dass die junge Dame dieses Abrufspiel megaklasse findet – lauf ich weg, ruft sie mich.
Nein, bei weitem klappt nicht alles perfekt, doch ein bisschen Leichtigkeit im Alltag macht Unwissen wieder wett. Allein der Gedanke, dass die Hunde nicht gegen mich arbeiten, verschafft mir schon eine ganz andere Perspektive und im Zweifel hör ich dann einfach mal auf meinen Bauch – wenn ich danach feststelle, dass das Bockmist war, gut, wieder was gelernt, wenn es funktioniert, kann ich es mir ja für ähnliche Situationen merken. Aus Fehlern wird man klug, sagt schon ein altes Sprichwort. Ich versuche mich nicht verrückt zu machen und vor allem verrückt machen zu lassen und gehe meinen Weg. Wie der heißt? Keine Ahnung! Er ist gespickt mit Baustellen, hat viel Potenzial und bietet jeden Tag eine Überraschung. „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Aber im Zweifel hab ich zwei Personen, die ich fragen kann, um mir drei Meinungen abzuholen, manchmal sogar ungefragt...

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